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MyCoRe ID: | kibidano_kibpic_00007879 |
Titel: | Aleppo / Schlangenmoschee / Bau-Inschrift |
Landessprachlich: | حلب / جامع الحيات |
Ort: | Aleppo (PHS) |
Provinz/Region: | Aleppo
-
Arabische Republik Syrien |
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Photograph: | Rüdiger Bartelmus |
Aufnahmedatum: | 02.09.1999 |
Texte: | Rüdiger Bartelmus, Hans-Georg von Mutius (München), Nils Feindt-Riggers |
Beschreibung: | In die Ostwand der Schlangenmoschee eingemauerter Block mit judaeo-arabisch-aramäischer Bau-Inschrift. Sie lautet:
תאריך הדא אלחאיט ש֗ת֗ק֗
צ֗ג֗ לשטרות בנה אלאמאם
הליל הכהן בר נתן בלא אגרה
Das ergibt in Umschrift folgende Lesung::
tʾryk hdʾ ʾlḥʾyṭ š/t/q/
ṣ/g/ lšṭrwt bnh ʾlʾmʾm
hlyl hkhn br ntn blʾ ʾgrh
(Die in der Inschrift über fünf Buchstaben wahrnehmbaren Punkte, mit denen signalisiert wird, daß die Buchstaben als Zahlen zu verstehen sind, sind aus technischen Gründen in der Umschrift durch "/" ersetzt; Analoges gilt für die Übersetzung).
In deutscher Übersetzung ist somit Folgendes mitgeteilt:
"Datum: Diese Mauer [im Jahre] 300/400/100/
90/3/ hat gebaut der Imam [= Priester!]
Halil, der Priester, Sohn des Natan, ohne Entgelt".
Jüdischer Schreibertradition entsprechend müssen die mit Buchstaben geschriebenen Zahlen schlicht addiert werden: Der Bau erfolgte demnach im Jahr 893. Welche Zeitrechnung vorausgesetzt ist, ist der Fügung לשטרות zu entnehmen: לשטרות heißt ("wörtlich" übersetzt): "Entsprechend der Ära der Dokumente", ist aber der standardisierte formelhafte Verweis auf die seleukidische Zeitrechnung. In ihr ist die Eroberung Babylons durch Selekeukos I. das Jahr Eins. D.h. je nachdem, ob man den Jahresbeginn gemäß dem syrischen oder dem babylonischen Kalender im Herbst oder im Frühjahr ansetzt, entspricht das Jahr 1 SÄ nach unserer Zeitrechnung dem Jahr 312 oder 311 v.Chr., die Zeitangabe 893 entspräche also dem Jahr 582 n.Chr. Daß die Inschrift so alt wäre, ist freilich ausgeschlossen. Vielmehr muß ein Tausender – für den ein Zeichen fehlte – dazu gedacht werden. Schon allein der gute Erhaltungszustand spricht ja dafür, daß es sich um eine Inschrift von 1582 handeln muß und nicht um eine von 582 n.Chr. Unwiderlegbar spricht für diese Datierung die Verwendung arabischer Lexeme (tʾryk für Datum; ʾlʾmʾm für "Priester") – die Araber traten nun einmal erst nach 622 auf den Plan und die Übernahme ihrer Sprache erfolgte erst nach und nach. Aber auch der in osmanischer Zeit häufig belegte Name Halil und die Tatsache, daß in dieser Phase viele Juden in Aleppo lebten, was für das 6. Jh. nicht belegt ist, spricht für die Ergänzung der Zahl um einen Tausender.
Inhaltlich darf man sich durch den Umstand, daß Halil sich in zwei Sprachen (Arabisch und Althebräisch) als Priester bezeichnet, nicht irritieren lassen: Die Judenheit kannte in dieser Phase keinen Tempelkult/Opferdienst, also auch keine diesbezüglichen Kultdiener. Halil betont nur, daß er aus einem alten Priestergeschlecht stammt. Dazu hebt er hervor, daß er die Mauer ohne Kosten für die Gemeinde errichtet – d.h. gestiftet – hat. Über die Frage, ob der Stifter das Wort "Mauer" aus Bescheidenheit verwendet hat (aber eigentlich den ganzen Bau meinte) oder aber nur die eingestürzte bzw. baufällige Mauer einer älteren Synagoge restauriert hat, kann man nur spekulieren. Daß es eine Synagoge (und kein anderes Gebäude) war, um das sich Halil verdient gemacht hat, kann man zwar ebenso wenig stringent beweisen, liegt aber angesichts der Spendenbereitschaft des Juden Halil, der vorausgehenden und der aktuellen Nutzung des Ortes zu religiösen Zwecken mehr als nahe.
Nachtrag:
Zwei Jahre nach der Publikation des Bildes und der Analyse des Textes wurde der Autor des Kommentars darauf aufmerksam gemacht, daß die Inschrift bereits 1915 in der FS Eduard Sachau vorgestellt und interpretiert wurde. Die Differenzen in der Interpretation sind erheblich, insbesondere bei der Lesung des Datums: 1241 vs. 1582 n.Chr. M. Sobernheim – der Autor dieses kurzen Aufsatzes – hat offenbar übersehen, daß auch über dem ש am Ende der ersten Zeile ein Punkt steht, so daß es sich auch dabei um eine Zahl handeln muß (wie bei den folgenden vier Konsonanten, die ebenfalls mit einem Punkt als Zahlen ausgewiesen sind; zudem hat er den ersten Buchstaben in der zweiten Zeile offenbar als נ gelesen). Auch die von ihm unterstellte Deutung der ersten drei Worte ("das Datum dieser Mauer") ist mehr als problematisch, denn dann müßte man unterstellen, daß der Schreiber mit den Grundelementen semitischer Syntax (sei es des Arabischen, sei es des Aramäischen) nicht vertraut war. Auch weitere Details der damaligen Analyse können kaum überzeugen. So ist etwa "בנה" sicher kein Schreibfehler, sondern die korrekte hebräische Formulierung für "er hat gebaut". Lediglich den Hinweis, daß es sich wohl um eine Reparatur der Mauer gehandelt haben dürfte, nimmt der Autor der hier gebotenen Interpretation gerne auf: Offenbar war es zu Beginn des 20. Jh.s noch möglich, die architektonische Grundsubstanz des häufig renovierten Baus als sehr alt zu erkennen; ob er freilich wirklich in das 6. Jh. n.Chr. zu datieren ist, sei dahingestellt.
Nachtrag 2:
Im Dezember 2012 wurde der Verfasser des Kommentars von seinem Kieler Kollegen Ulrich Hübner darauf hingewiesen, daß die Tagebücher des Reisenden Julius Euting neuerdings durch die Universität Tübingen im Internet zugänglich gemacht wurden. In Band 10 (1890), S. 298 findet sich darin eine Abschrift der Inschrift, die freilich nicht fehlerfrei war, wie nachträgliche Korrekturen (von welcher Hand auch immer) belegen. Auf diese Abschrift scheint sich Sobernheim bezogen zu haben, denn in den Nachträgen, die im Falle der arabischen Worte (mit Ausnahme der Fügung ʾlʾmʾm) übrigens auch arabische Zeichen aufweisen, erscheint auch die oben angegebene sicher falsche Jahreszahl 1241: Daß die Synagoge bzw. die Inschrift die kurz nach 1241 erfolgte Zerstörung Aleppos durch die Mongolen schadlos überstanden haben sollte, ist mehr als unwahrscheinlich. Und selbst wenn dem so wäre: Daß die Inschrift noch heute relativ gut lesbar ist, spricht dafür, daß sie jüngeren Datums ist. |
Sachl. Kontext: |
Bereits in der Mitte des 3. Jtsd.s. v.Chr. war der ca. 50m hohe Hügel, auf dem sich die Zitadelle von Aleppo befindet, Zentrum einer größeren Siedlung....
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Bereits in der Mitte des 3. Jtsd.s. v.Chr. war der ca. 50m hohe Hügel, auf dem sich die Zitadelle von Aleppo befindet, Zentrum einer größeren Siedlung. Der markante Hügel wurde als Wohnsitz des (nord-) syrischen Wettergottes Hadad angesehen und so bald zu dessen zentralem Kultort. Im 18. Jh. v.Chr. wird Aleppo (Ḫalaba) in keilschriftlichen Dokumenten (v.a. aus dem mesopotamischen Raum und dem westlich von Aleppo gelegenen Alalaḫ) als Hauptstadt eines bedeutenden Stadtstaates mit Namen Yamkhad (Yamḫad; Jamchad) erwähnt. Die Phase der Selbständigkeit endete in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s v.Chr.: Der Hethiterkönig Muršili I., der Babylon 1531 v.Chr. eroberte, dürfte den Feldzug dorthin schwerlich unternommen haben, ohne vorher Aleppo (Yamkhad) "neutralisiert" zu haben. Danach folgte eine kurze Phase der Abhängigkeit vom Reich von Mitanni. Im 14. Jh. v.Chr. gewannen wieder die Hethiter die Oberhand in (Nord-)Syrien: Anders als Tudḫaliya III., der nach einem Sieg über Mitanni noch einen Vertrag mit Aleppo schloss, eroberte dessen Nachfolger Šuppiluliuma I. die Stadt und gliederte sie in das hethitische Großreich ein. Nach einer längeren Phase erneuter Unabhängigkeit als Zentrum eines "späthethitischen" bzw. aramäischen Kleinstaats (ab ca. 1200 v.Chr.) eroberte der Assyrerkönig Salmanassar III. (858-824) die Stadt und bezog sie und ihr Umfeld in das den ganzen Nahen Osten umfassende neuassyrische Großreich ein, das wiederum rund 200 Jahre später an die Babylonier fiel, die ihrerseits nach etwa 100 Jahren von den Persern als Zentralmacht im Nahen Osten abgelöst wurden. Genauere Informationen über die Rolle Aleppos in dieser Phase der Geschichte, insbesondere in der Perserzeit, fehlen. Historisch greifbare Bedeutung gewann Aleppo erst wieder in der hellenistischen Zeit: Unter dem Diadochen Seleukos Nikator I. wurde die nunmehr Beroia genannte, quasi neu gegründete Stadt bald nach 300 v.Chr. zu einem wichtigen Handelszentrum. Diese Rolle behielt Aleppo auch während der Herrschaft Roms – Pompeius war es gelungen, Aleppo 69 v.Chr. in den römischen Herrschaftsbereich einzugliedern. Als im 4.Jh. n.Chr. Ostrom (Byzanz) an die Stelle von Rom trat, änderte sich so gut wie nichts an der Rolle von Aleppo als Handelsmetropole.
Relativ bald nach der muslimischen Eroberung (636 n.Chr.) wurde Aleppo dann aber für längere Zeit auch zu einem politischen Machtzentrum bedeutender Dynastien: Die Zengiden und Ayyubiden bekämpften von hier aus erfolgreich die Kreuzfahrer. 1260 fiel Aleppo an die Mongolen, die große Zerstörungen in der Stadt anrichteten. Unterbrochen von einem kurzem zweiten Überfall durch die Mongolen war die Stadt dann bis 1516 ein wichtiges administratives Zentrum des Mamlukenreiches, danach fiel sie an die Osmanen. In der Folgezeit verlor Aleppo an politischer Bedeutung, blieb aber ein immerhin ein Verwaltungszentrum; v.a. aber behielt die Stadt ihre Rolle als Metropole des Orient-Handels. In ihr konnten Menschen aus unterschiedlichsten Ethnien, gleichgültig ob sie muslimischen, christlichen, jüdischen oder eines anderen Glaubens waren, relativ konfliktfrei miteinander leben. Analoges galt bis ins frühe 20. Jh. für die gesamte – aus drei Sandschaks bestehende – Vilayet (Provinz) Aleppo, die damals bis weit in die heutige Türkei hinein reichte. Im Rahmen der Zerschlagung des Osmanischen Reiches auf der Basis des Sykes-Picot-Abkommens und der Wirren bis zur Gründung der Republik Türkei kam es in den schließlich der Türkei zugeschlagenen Sandschaks Marasch und Urfa zu Pogromen gegen Minderheiten, v.a. gegen die Armenier. In Aleppo selbst (und Teilen des zugehörigen gleichnamigen Sandschaks) blieben die Armenier und andere religiöse bzw. ethnische Minderheiten wie z.B. die Kurden weitgehend unbehelligt.
Im Verlauf des 20. Jh.s wuchs Aleppo – zunächst unter der französischen Mandatsverwaltung, dann als Teil der säkular orientierten Republik Syrien – zu einer Millionenstadt an: Am polyethnischen, religiös toleranten Charakter der Stadt änderte sich bis ins erste Jahrzehnt des 21. Jh.s nur wenig. Soziale Spannungen zwischen den Bewohnern der rasch wachsenden, architektonisch eintönigen Neubauviertel und den reicheren Bevölkerungsschichten in der Innenstadt waren freilich auch hier (wie praktisch überall in Großstädten dieser Dimension) schon im letzten Drittel des 20. Jhs. nicht zu übersehen. Parallel dazu entwickelten sich – zunächst unterschwellig – Spannungen zwischen der sunnitischen Mehrheit und dem Rest der Bevölkerung, die von den Golfstaaten und v.a. von Saudi-Arabien (aber auch von Seiten der Türkei) nach Kräften befördert wurden, und die 2011 dann in einen (im Westen wegen anfänglicher vereinzelter demokratischer Proteste fälschlich als Teil des sog. arabischen Frühlings interpretierten) Krieg zwischen mehr oder weniger radikalen sunnitischen Gruppen und der die säkulare Verfassung verteidigenden, autokratischen Zentralregierung ausmündeten: Ende 2016 war etwa die Hälfte der einst blühenden Metropole quasi dem Erdboden gleichgemacht; bereits in den Jahren davor waren Teile der Altstadt – darunter der Suq und das Minarett der Umayyadenmoschee – zerstört worden.
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Objekte: | Ǧāmiʿ al-Ḥayyāt, ǧāmi' al-ḥayyât, Jami' al-Hayyat, Altstadt, المدينة القديمة, al-Madīna al-Qadīma, al-Madina al-Qadima, al-Medina al-Qadima, Old Town, Old City, Inschrift, كتابة, Kitāba, Kitaba, نقش, Naqš, Naqsh, Naqsch, Pl. نقوش, كتابات, Nuqūš, Kitābāt, Inscription, Moschee, جامع, Ǧâmiʿ, Ǧāmiʿ, Ǧâmi', Ǧāmi', Ǧumʿah, Ǧum'ah, Ǧumʿeh, Ǧum'eh, Gami'a, Gami', Jumeh, Jumih, Jumi, Jume, Jome, Jomi, Jameh, Jame, Jamih, Jami, Jâmi, Jâme, Djami, Djame, Djome, Djuma, Djomeh, Djameh, Pl. جوامع, Ǧawāmiʿ, مسجد, Masǧid, Masǧed, Masjid, Masjed, Masgid, Masged, Masdschid, Masdsched, Masdjid, Masd̲j̲id, Masdjed, Mascid, Masced, Meczet, Mosque, مسجد جامع = große Moschee, Freitagsmoschee, Great Mosque, Versammlungsmoschee, Congregational Mosque, Pl. مساجد, Masāǧid |
Ortslage: | Aleppo (PHS), حلب, Ḥalab, Halab, Ḫalab, Halaba, Hallaba, Chalba, Haleb, Ḫalpa, Halpa, Halap, Halep, Helep, Madinat Halab, Madînat Ḫalab, Khalepion, Haleppo, Aleppe, Alep, Alepo, Beroia, Beröa, Beroea, Berea |
Provinz: | Aleppo, محافظة حلب, Muḥāfaẓat Ḥalab, Muhafazat Halab, Mohafazat Halab, Halaba, Ḥalab, Aleppe, Alep, Alepo, Haleb, Haleppo |
Land: | Arabische Republik Syrien, الجمهورية العربية السورية, سورية, بلاد الشم, Bilād aš-Šām, Sūrīya, al-Ǧumhūrīya al-ʿArabīya as-Sūrīya, Bilâd aš-Šâm, Sûriyya, Al-Jumhuriya al-'Arabiya as-Suriya, Syrien, Syrie, Suria, Surija, Großsyrien, Greater Syria |
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Literatur u.a.: | R. Bartelmus, Indirekte Spuren seleukidischer Herrschaft in Nordsyrien, in: J.-F. Eckholdt, M. Sigismund, S. Sigismund (eds.), Geschehen und Gedächtnis, FS Wolfgang Orth, Berlin-Münster 2009, 393-409, M. Sobernheim, Eine hebräisch-arabische Inschrift in Aleppo, in: G, Weil (ed.), FS Eduard Sachau zum siebzigsten Geburtstage gewidmet von Freunden und Schülern, Berlin 1915, 311-313 |
Publizist: | KiBiDaNO |
Aufnahme-Kontext: | Syrienexkursion der Theologischen Fakultät der CAU Kiel 1999 unter der Leitung von Prof. Dr. Rüdiger Bartelmus und PD Dr. Klaus Fitschen |
Kategorien: | Sakral, Jüdisch, Bronze- und Frühe Eisenzeit (2200-600 v. Chr.), 12. Jh. n. Chr., 13. Jh. n. Chr., 14. Jh. n. Chr., 15. Jh. n. Chr., 16. Jh. n. Chr., 17. Jh. n. Chr., 18. Jh. n. Chr., 19. Jh. n. Chr., 20. Jh. n. Chr., 21. Jh. n. Chr., Aleppo (PHS), Inschriften, Stadt |
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Letzte Änderung: | 26.01.2017 |
Statische URL: | https://applux05.rz.uni-kiel.de/kibidano/receive/kibidano_kibpic_00007879 |
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