Wanderer in der engen Schlucht des "inneren" (von Petra aus gesehen eigentlich äußeren) Siq. (Vgl. etwa Bild ID 15115 als Beispiel für die mittlerweile erfolgten Veränderungen).
Sachl. Kontext:
Der mehr als einen Kilometer lange Siq, durch den der heutige (und der nabatäische) Weg nach Petra führt(e), ist eine an der engsten Stelle nur 2,29m breite...
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Der mehr als einen Kilometer lange Siq, durch den der heutige (und der nabatäische) Weg nach Petra führt(e), ist eine an der engsten Stelle nur 2,29m breite verwinkelte Klamm. Der Siq wurde zwar immer wieder auch von plötzlich aufkommenden Flutwellen ausgewaschen und so in die heute wahrnehmbare Form gebracht, ist aber seiner Natur nach ein Grabenbruch und kein vom Wasser geschaffenes Cañon. Die z.T. überhängenden Seitenwände überragen den Grund der im Verlauf der Jahrhunderte durch Schutt nach und nach um einige Meter aufgefüllten Klamm um weit mehr als 70 m. Erst Ende der neunziger Jahre des 20. Jh.s wurde der Schutt, der sich im Siq angesammelt hatte, im Auftrag der jordanischen Altertümerverwaltung entfernt, so daß nicht nur der ursprüngliche Grund der Klamm frei wurde, sondern auch bis dahin verborgene, in die Wände eingehauene nabatäische Reliefs wieder sichtbar wurden. Die Archäologen hatten von derartigen Objekten zwar schon gehört (Beduinen tradieren die Erzählungen ihrer Vorfahren sehr genau), aber selten ernst genommen; zumeist wurden sie als "Beduinen-Latein" in den Bereich der Fabel verwiesen: Jetzt wird bei Führungen durch den Siq indes u.a. das wiederentdeckte Relief eines Kameltreibers an der orographisch linken (südlichen) Seitenwand – kurz von dem Khazne Fir'aun – als ein erster Höhepunkt der Tour ausführlich gewürdigt.
Der Name Siq – korrekt: (as-) Sīq – geht auf eine lokale Variante des hocharabischen Lexems ضيق / ḍīq (Enge) zurück. Daß der emphatische Laut ḍ nicht (mehr?) velarisiert artikuliert wird (und daher auf der offiziellen Karte auch nicht als ض erscheint), könnte möglicherweise dadurch (mit) bedingt sein, daß die einheimischen Bdul-Beduinen im Kontext des Kontakts mit Europäern (erst Forscher, dann Touristen) ihre Sprachgewohnheiten mehr und mehr an die artikulatorischen Fähigkeiten der – mehr oder weniger – willkommenen Gäste angepaßt haben. (Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser Anpassungstrend auch auf die Artikulation des emphatischen q auswirkt, das Europäer zumeist wie den einfachen Verschlußlaut k aussprechen. In vielen gedruckten Reiseführern sucht man denn vergeblich nach dem Stichwort "Siq" – man muß unter "Sik" suchen).
Der Felskessel von Petra – östlich der 'Araba etwa zwischen dem Toten Meer und dem Golf von Aqaba gelegen – war nachweislich bereits in der Jungsteinzeit besiedelt. Schon in dieser Zeit scheint man den Sachverhalt wahrgenommen zu haben, daß sich der anstehende Sandstein leicht bearbeiten ließ: Es entstanden (einzelne) Höhlenwohnungen.
Im 4. Jh. v.Chr. etablierte sich im später Petra genannten Ort ein überregionaler Umschlagplatz für Weihrauch und Myrrhe. Das aus dem Nordwesten der arabischen Halbinsel stammende arabische Volk der Nabatäer nutzte die durch steile Felsformationen geschützte natürliche Festung als Rückzugsgebiet und begann, die in der Nähe verlaufende Handelsroute von Syrien nach Ägypten von hier aus zu kontrollieren. Das konnten weder Alexander d.Gr. noch seine Nachfolger verhindern. So versuchte etwa Antigonos I. Monophthalmos vergeblich, die Felsenstadt zu erobern.
Der im 3. und 2. Jh. v.Chr. zwischen den Seleukiden und den Ptolemäern ausgetragene Kampf um die regionale Vorherrschaft blieb für die zunächst noch in Sippenverbänden organisierten Nabatäer weitgehend folgenlos, ja sie erweiterten in dieser und der folgenden Zeit unter der Herrschaft mehrerer Könige mit Namen Aretas ihren Machtbereich. Das Zentrum blieb indes Petra, das um die Zeitenwende an die 40000 Einwohner gezählt haben könnte.
Als die Römer unter Pompejus 64 v.Chr. die Provinz Syrien errichteten, änderte sich – dank eines Friedensvertrags, den der von Marcus Aemilius Scaurus in Palästina besiegte König Aretas III. mit Rom schloß – zunächst so gut wie nichts am wirtschaftlichen Erfolg der Nabatäer. Im letzten Viertel des 1. Jh. v.Chr. und dem ersten des 1. Jh. n.Chr. florierte der Handel – die formal mit Rom alliierten nabatäischen Könige genossen weitgehende Autonomie. In dieser Periode entstanden die bedeutendsten Bauten, v.a. Grabanlagen, die größtenteils in »negativer Architektur« in die den Talkessel umgebenden Wände aus rot-buntem Sandstein eingehauen wurden.
Doch schon bald verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Kaisern und ihren in Petra residierenden Klientelkönigen – v.a. aus wirtschaftlichen Gründen. Um höhere Einnahmen zu erzielen, wurden die asiatischen Warenströme auf römisches Territorium umgelenkt. Diese Maßnahmen leiteten den wirtschaftlichen Niedergang Petras ein. Als Reaktion hierauf verlagerte der letzte nabatäische König, Rabel II., seine Residenz nach Bosra (im heutigen Syrien), da der Hauptort des agrarisch geprägten Hauran bessere Lebensgrundlagen bot. Nachdem indes mit ihm die Königsdynastie der Nabatäer endgültig erloschen war, annektierte Trajan 106 n. Chr. die nabatäischen Territorien und ließ die Provinz Arabia errichten. Insbesondere aufgrund der fortwährenden römisch-sasanidischen Auseinandersetzungen büßte Petra in der Folgezeit vollends seine Funktion als prosperierendes Handelszentrum ein. Immerhin konnte Petra unter Diokletian noch einmal Provinzhauptstadt werden, ja es wurde unter den ersten christlichen Kaisern sogar Sitz eines Bischofs. Dann aber schwand die Bedeutung des (doch etwas zu abseits der neuen Haupthandelsrouten gelegenen) Ortes sehr schnell, und in muslimischer Zeit verfielen alle Bauten endgültig: Petra wurde – wieder – zum Zentrum eines Sippenverbandes von Beduinen.
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